21 Fragen zur Waldorfschule
Waldorfschulen stehen grundsätzlich allen Kindern offen – unabhängig von Religion, ethnischer Herkunft, Weltanschauung und Einkommen der Eltern. Nach ausführlichen Informationsveranstaltungen findet für jedes Kind ein individuelles Aufnahmegespräch an der Schule statt. In höhere Klassen können Schüler*innen als Quereinsteiger*innen aufgenommen werden.
Waldorfschulen wollen gleichermaßen intellektuelle, kreative, künstlerische, praktische und soziale Fähigkeiten bei den Kindern und Jugendlichen entwickeln. Alle Waldorfschüler*innen durchlaufen ohne Sitzenbleiben zwölf Schuljahre. Vom ersten Schuljahr an lernen die Schüler*innen zwei Fremdsprachen. Gemeinsam besuchen Mädchen und Buben den Handarbeits- und auch den Werkunterricht. In der achten und zwölften Schulstufe studieren sie ein anspruchsvolles Theaterstück ein und setzen sich in einer großen Jahresarbeit mit einem Thema ihrer Wahl auseinander. Die Fächer Gartenbau und Eurythmie sind feste Bestandteile des Lehrplans.
Rudolf Steiner ist der Begründer der Waldorfpädagogik. Emil Molt, Besitzer der damaligen Waldorf Astoria Zigarettenfabrik, gründete mit ihm zusammen die erste Waldorfschule in Stuttgart. Inhalt und Methode der Waldorfpädagogik beruhen auf Rudolf Steiners Erkenntnissen über die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Neben der Pädagogik fanden Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Forschungen auch Eingang in die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Anthroposophische Medizin und die Kunst.
Nein, die Waldorfschule ist eine Schule für alle Begabungen. Die neuere Hirnforschung hat eindrucksvoll belegt, dass Kinder und Jugendliche durch künstlerisches Üben viele Kompetenzen erwerben, die weit über die unmittelbare Tätigkeit hinausreichen. Wenn Waldorfschüler*innen malen, zeichnen, plastizieren oder musizieren, geht es daher vor allem um die Schulung differenzierter Wahrnehmungen und die Entfaltung ihres schöpferischen Potenzials; die Begabungen der einzelnen Schüler*innen werden dabei natürlich berücksichtigt. Waldorflehrer*innen sind bestrebt, den Verstand, die Kreativität und die eigenständige Persönlichkeit ihrer Schüler*innen gleich gewichtet zu entwickeln.
Ausdrücklich nein. An Waldorfschulen lernen Kinder aller Begabungsrichtungen wie an den staatlichen Schulen auch, nur dass hier neben intellektuellen Fähigkeiten gleich gewichtet soziale und handwerklich-künstlerische Fähigkeiten gefordert und gefördert werden. Die individuelle Förderung von Kindern mit besonderem Assistenz- oder Förderbedarf ist eine wichtige Säule der Waldorfpädagogik, die entweder in Schulen mit einem inklusiven Konzept oder in heilpädagogischen Schulen umgesetzt wird.
Das ist von Schule zu Schule verschieden, aber es ist richtig, dass es manchmal größere Klassen gibt. In vielen Fächern werden die Klassen dann geteilt. Kinder, die sich in einem Fach leichter tun, helfen denen, die es schwerer haben. Schüler*innen, die ganz besonders schnell auffassen, erhalten von den Lehrenden schwierigere Zusatzaufgaben. In einer großen Klasse entsteht durch die Vielzahl der unterschiedlichen Persönlichkeiten, Temperamente und Eigenschaften der Kinder über zwölf Schuljahre eine soziale Gemeinschaft, in der die jungen Heranwachsenden aneinander lernen.
An Stelle der Noten stehen schriftliche Beurteilungen, in denen die Lehrer*innen gleichermaßen auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Lernfortschritte ihrer Schüler*innen eingehen. Es zählt also nicht allein der Wissensstand, sondern die Gesamtentwicklung in einem bestimmten Zeitraum. Waldorfschüler*innen lernen von der ersten bis zur zwölften Schulstufe in einer stabilen Klassengemeinschaft, unabhängig vom angestrebten Schulabschluss: Niemand wird unterwegs sitzen gelassen.
Da der Waldorfunterricht sehr handlungsorientiert und auf die jeweilige Entwicklungsphase der Schüler*innen abgestimmt ist, stellt sich dieses Problem nur selten. Eigeninitiative entwickeln die Kinder und Jugendlichen nicht aufgrund von äußerem Leistungsdruck, sondern aus lebendigem Interesse und persönlicher Begeisterung für die vielfältigen Unterrichtsinhalte. Diese gestaltet der Lehrer kreativ und lebensnah, so dass sie sich an der persönlichen Erfahrungswelt der Kinder orientieren und ihnen eigene Erlebnisse vermitteln. Waldorflehrer bereiten sich auf diese anspruchsvolle pädagogische Tätigkeit an eigenen Seminaren und Hochschulen vor.
Die Praxis zeigt, dass gerade Waldorfschüler*innen in der Berufswelt besonders geschätzt werden. In einer Schule, die nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten anspricht, entwickeln sich Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, Kreativität und die Fähigkeit, prozessual zu denken – vom ersten Schultag an. Absolventenstudien¹ zeigen, dass Waldorfschüler*innen in allen Studien- und Berufsfeldern sehr erfolgreich studieren und arbeiten.
Die eigentliche Waldorfschulzeit endet nach der 12. Klasse mit dem Waldorfabschluss. Danach gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich auf die Matura vorzubereiten. Einige Waldorfschulen bieten dafür ein 13. Schuljahr an, die Schüler*innen können auch die letzte Klasse einer AHS oder eines ORG besuchen und dort die Matura ablegen oder aber ein Abendgymnasium besuchen.
Ein Prinzip der Waldorfschule ist, dass kein Kind aus finanziellen Gründen abgelehnt wird. Obwohl Waldorfschulen erwiesenermaßen besser wirtschaften als Regelschulen, sind sie auf Elternbeiträge angewiesen. Zwar besteht das Recht auf freie Schulwahl, aber die Zuschüsse der öffentlichen Hand an die Privatschulen sind wesentlich niedriger als die Mittel, die sie für Regelschulen aufwendet. In Gesprächen zwischen Eltern und Vertretern der Schule werden die Schulbeiträge so festgelegt, dass diese einerseits den Notwendigkeiten des Schulbetriebes und andererseits den finanziellen Möglichkeiten der Eltern entsprechen.
Der Begriff „freie Schulen“ bedeutet nicht, dass es keine Regeln gibt, sondern dass diese Schulen eine weitgehende pädagogische Autonomie haben. Waldorflehrer*innen bauen in der Unterstufe ein von „liebevoller Autorität“ geprägtes Verhältnis zu ihren Schüler*innen auf. Kinder suchen ihre Grenzen. Nur wenn sie diese von den Erwachsenen erfahren, fühlen sie sich einerseits sicher und erleben sich andererseits als eigene Persönlichkeit. Im Laufe der Schulzeit wandelt sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis immer mehr zu einer umfassenden Lernpartnerschaft.
In einer Gemeinschaft, die von Beständigkeit und Rhythmus geprägt ist, können Kinder sich gesund entfalten. Um ihnen darin eine verlässliche Stütze zu sein, begleitet ein/e Waldorf-Klassenlehrer*in die Klasse nach Möglichkeit sechs bis acht Jahre lang und unterrichtet jeden Morgen mindestens die ersten beiden Stunden eines Schultags. In wechselnden „Epochen“ bringt er den Schüler*innen jeweils über mehrere Wochen den Stoff unterschiedlicher Themengebiete nahe. Dabei lernt er die Schüler*innen sehr gut kennen und kann individuell auf ihre Stärken und Schwächen eingehen.
Während der ersten beiden Stunden eines Schultags arbeiten die Schüler*innen über mehrere Wochen intensiv an jeweils einem Fachgebiet. So haben die Schüler*innen zum Beispiel drei Wochen lang jeden Morgen zwei Stunden Mathematik, Geografie, Deutsch, Geschichte oder ein anderes Hauptfach. Sie können sich auf diese Weise intensiv mit einem Stoffgebiet verbinden. Grundfertigkeiten wie Rechnen oder Schreiben festigen die Schüler*innen über den Epochenunterricht hinaus in fortlaufenden Übungsstunden. Im Anschluss an den Epochenunterricht übernehmen Fachlehrer*innen den Unterricht in Sport, Fremdsprachen, Eurythmie, Religion, Musik und den handwerklich-künstlerischen Fächern.
Klassenlehrer*innen decken an einer Waldorfschule tatsächlich ein großes Spektrum an Fächern ab. In besonderen Ausbildungswegen, die sie in einem Vollstudium oder postgraduiert im Anschluss an eine Ausbildung an einem der Seminare oder einer Hochschule mit Waldorfqualifikation durchlaufen, werden sie gezielt darauf vorbereitet. Für Klassen-, Fach- und Oberstufenlehrer*innen gilt gleichermaßen, dass ihre Ausbildung mindestens gleichwertig zur staatlichen Ausbildung sein muss. In der Unter- und Mittelstufe liegt der Schwerpunkt allen Lernens neben der Vermittlung reinen Fachwissens auch darauf, dass den Schüler*innen eine lebendige, erfahrungsgesättigte Beziehung zu den Lerninhalten ermöglicht wird. So kann Lernen Freude machen – ein Leben lang.
In der Oberstufe unterrichten in allen Fächern akademisch beziehungsweise handwerklich ausgebildete Lehrer*innen die Jugendlichen. Die praktischen Fähigkeiten, die Schüler*innen sich über die gesamte Schulzeit hinweg angeeignet haben, finden von der achten Schulstufe an Ergänzung durch diverse Praktika: In einem Landwirtschafts- und einem Forstpraktikum, einem Feldmess-, einem Betriebs- und einem Sozialpraktikum erhalten die Schüler*innen eine ausgesprochen lebensnahe Ausbildungsgrundlage. Dabei liegt der eigentliche Sinn der Praktika nicht in der Berufsfindung, sondern vor allem im Erüben wichtiger sozialer Fähigkeiten.
Die Erfahrung zeigt, dass die Prüfungsleistungen hierunter nicht leiden. Denn die Abschlussnoten der Waldorfschüler*innen liegen im Durchschnitt mindestens auf dem gleichen Niveau wie bei Schüler*innen staatlicher Schulen.
Die von Rudolf Steiner entwickelte Anthroposophie ist eine Erkenntnishilfe für die Lehrer*innen, zu keinem Zeitpunkt aber ist sie Gegenstand des Unterrichts. Da die Waldorfschule eine überkonfessionelle Schule ist, entscheiden zunächst die Eltern, welchen Religionsunterricht ihr Kind besuchen soll. Später entscheiden die Jugendlichen selbst.
Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die an Waldorfschulen unterrichtet wird. Im Unterschied zu gymnastischen, pantomimischen oder tänzerischen Bewegungen, die völlig frei gestaltet werden können, gibt es in der Eurythmie für jeden Buchstaben und jeden Ton eine ganz bestimmte Gebärde – es handelt sich also um sichtbar gemachte Sprache und Musik. In der Lauteurythmie stellen die Schüler*innen zum Beispiel dar, was in einem Gedicht an Lauten lebt; in der Toneurythmie hingegen, was in den Tonintervallen einer musikalischen Komposition lebt. Eurythmie ist nicht nur ein Unterrichtsfach an den Waldorfschulen, sie ist auch Bühnenkunst und Bestandteil erfolgreicher Therapien.
An der Waldorfschule stehen die naturwissenschaftlichen Fächer gleichgewichtig neben allen anderen Unterrichtsfächern. Informatik ist fester Bestandteil des Lehrplans . Waldorfschulen legen allerdings Wert darauf, dass die Kinder die Welt zuerst mit ihren Sinnen erfahren und daran ihr kreatives Potenzial und soziale Kompetenz entwickeln. In der Oberstufe ist der Umgang mit der Soft- und Hardware für jede/n Schüler*in eine Selbstverständlichkeit. Eine PISA-Studie² zu den Naturwissenschaften bescheinigte Waldorfschüler*innen weit überdurchschnittliche naturwissenschaftliche Kompetenzen und führte dies unmittelbar auf die praktizierte Unterrichtsmethode zurück.
In Österreich sind die Waldorfschulen in allen Bundesländern vertreten. Weltweit gibt es über 1.000 Waldorfschulen, wobei es jedes Jahr Neugründungen gibt. Damit sind die Waldorf- und Rudolf Steiner-Schulen die größte überkonfessionelle und nicht staatliche pädagogische Bewegung der Welt. Eine aktuelle Weltschulliste finden Sie auf unserer Website (www.waldorf.at).